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Sonntag, 29. April 2007

Tod an der Theke oder: Hier ist es grad nicht lustig

Der gestrige Abend hat die Tiefen meiner armen gebeutelten Seele ziemlich aufgewühlt. Zutage kam viel allgemeiner Müll. Und ein vergessene Einnerung.

Larousse war zarte 17, als man im elterlichen Betrieb am Samstagmorgen nach ihr rief. An der Fleischtheke war ein Kunde zu Boden gegangen gesunken. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass das Zusammenbrechen des Kunden in keinem kausalen Zusammenhang mit der Qualität des Fleisches in der Theke stand. Jedenfalls kann das bis heute niemand nachweisen.

Der betreffende Man lag also auf dem Boden und schnarchte. So schien es mir jedenfalls. Ich kniete mich hin und nahm den Kopf des Armen auf meinen Schoss. Es war schliesslich unwürdig, ihn so auf den harten Fliesen liegen zu lassen. Der eintreffende Norarzt schnitt dem armen Alten für Herzmassage und Intubation Jacke, Hemd und Unterwäsche vom Leib, halbnackt war der Mann der physischen Gewalt der Ärzte ausgesetzt. Eine entsetzlich erniedrigende Situation. Fand ich. Wobei ich mit dieser Ansicht ziemlich alleine dastand: vor dem Schaufenster waren Menschenmassen aufgelaufen, wie man sie erst zur WM 2006 in dieser Form wiedergesehen hat. Endlich passierte mal etwas, und dann auch noch am Samstagmorgen, wie praktisch, da hat man ja Zeit und kann sich genüsslich einen guten Platz sichern! Ich muss zugeben, Schaufenster war Logenplatz, besser hatte man dem Tod wohl selten ins Gesicht geschaudert.

Larousse hatte mit dem Sensemann bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Kontak. Also, sieht man einmal von den in der Produktionsstätte hängenden Schweinehälften ab, die auf Ihre Weiterverarbeitung für den Wursthimmel warteten - aber die waren ja schliesslich schon ausgeblutet und abgehangen und insofern mit der aktuellen Situation nicht wirklich vergleichbar. Und in meiner Welt schnarchten Tote einfach nicht. Was mein Entsetzen noch steigerte, als der Notarzt nach gefühlten Ewigkeiten seine Gerätschaften einpackte und sagte, da sei nichts mehr zu machen.

Der Mann lag noch lange im Hausflur, da Notärzte keine Toten transportieren dürfen.

Aber das wollt Ihr eigentlich alles gar nicht wissen.
Oder?

Montag, der 28.04.07

20:32
Wir schlagen in A. auf, einem kleinen Nest neben Herrn Larousses Brutstätte. Geladen wurden wir, zum 40gsten zweier Freunde von Herrn Larousse, Phil und Gabriel, genannnt Gaby, was bei mir anfänglich für einige Verwirrung sorgte, erwartete ich doch statt eines brünetten Hünen eher ein blondes Mäuschen.

Der Kleiderordnung der Einladung folgend, trägt Larousse äusserst kleidsames Rot am ganzen Körper - die Farbe, die den 67er Jahrgang an diesem Abend auszeichnet. Herr Larousse gehört zur Gruppe der Orangenen. Entsetzt stelle ich fest, daß auch Magenta anwesend ist, was ich zu Hause noch mit einem müden Lächeln abgetan hatte "Guck mal, unter dreissig soll pink tragen - ich will auch in pink, das streckt hahaha, Teenies kommen da doch eh nicht hin!"

20:40
Schlange stehen am Eingang. "Wer sind denn die Veteranen da?" Ein antikes Empfangskommitee erwartet uns, die Eltern der Jubilare, anscheinend war für über 70 keine Farbe mehr frei, da die zwei Seniorenpärchen uns in schmuckem Schwarzweiss empfangen. Es stellt sich heraus, dass Gaby's Vater der Englisch- und Niederländischlehrer von Herrn Larousse war. Was bei Letzterem nicht nur positive Erinnerungen wacht ruft. Bei Ersterem wohl noch weniger.

20:41
Händegeschüttel

21:45
Der Saal füllt sich zusehends. Wieviel Leute erwartet werden? "So um die 300" antwortet Phil. Oha!

22:15
Ich sterbe vor Hunger. Man sollte niemals vergessen, daß Bier in Belgien zu den Grundnahrungsmitteln zählt und demnach an solchen Abenden nicht zwingend auch feste Nahrung geboten wird.

22:30
Showtime.
Nach alter belgischer Sitte werden Trinkspiele veranstaltet, von denen wir in Deutschland nur kotzen träumen können. "Ganz wie in Studentenzeiten" jubiliert es um mich, und ich versuche, mich unauffällig an meinem Roséglas festzuhalten.

22:45
Einmarsch der Brötchen und Freudentränen im larouss'schen Auge. Man schwankt zur Brötchentheke und kämpft sich bis zum letzten Krümel durch.

22:53
Showtime, die Zweite.
6 Männer stehen wie die Orgelpfeifen nebeneinander und spielen Staffeltrinken. Ist der erste fertig mit Auf-Ex, setzt der nächste an.

22:54
Plötzliche Aufruhr direkt am Hallentor rechts von mir. Was soll jetzt das? So lasst die jungen Leute doch ihren Spass haben! Ich sehe einen Haufen Menschen um ein paar sehr dünne, am Boden liegende Beine wuseln. Seltsam, diese Belgier. Die Beine wippen auf und ab, als würde der dazugehörige Körper jemanden begatten. Sehr seltsam. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ganz und gar nicht in Ordnung. Die Musik geht aus.

22:59
"Christian versucht ihn wiederzubeleben" wird mir zugemurmelt. Immer mehr Menschen scharen sich um den am Boden Liegenden. Christian ist Allgemeinmediziner und als erster geistesgegenwärtig genug, zu reagieren, als der alte Mann auf dem Boden aufprallt. Links von mir fällt jemand in Ohmacht und stöhnt. Sofort schart sich auch um ihn eine Traube Menschen, Wie ich später erfahre war es ein unterzuckerter Diabetiker, der aber schnell wieder zu Kräften kommt. 18 Minuten versuchen 5 Personen Herzmassage und Wiederbeatmung, während die anderen 295 in Totenstille auf den Notarzt warten. Kollektives Aufatmen, als dieser endlich eintrifft.

23:19
Weitere 30 Minuten Herzmassage und künstliche Beatmung. Dann fängt die Frau von Gabys Vater an, laut zu weinen. Die Sanitäter packen ein.
Alles.
Auch den Mann, der am Boden liegt.

23:59
Phil kommt allein von draussen zurück.
"Gaby lässt Euch mitteilen, daß das Leben sehr kurz sein kann. Geniesst es. Und fahrt vorsichtig."

Hallo, falls mich da oben einer hört - das war ja wohl mal so RICHTIG Scheisse!!!!

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