Es ist taktisch unklug, mit einem Kind, welches seit Wochen, was sage ich, MONATEN seinem ersten Pop-Konzert entgegenfiebert, 2 Stunden vorher in einem Aufzug steckenzubleiben.
So geschehen am gestrigen Freitagnachmittag gegen 16 Uhr 22.
Larousse + 1/2 Brut betreten den Aufzug und drücken auf 4. Die Türen schliessen sich. Aufzug hebt an. Auf dem Display erscheint 1. Es macht PLOPP. Der Aufzug bleibt stehen. Larousse drückt auf wieder auf 4. Schließlich wollen wir auf 4 und nicht auf 1Plopp.
Der sichtlich leidende Aufzug macht einen letzten Seufzer Ruck und bleibt dann zwischen 1 und 2 stehen.
Das Kind guckt mich mit grossen Augen an sagt: "Mama, ich muss mal Pipi".
Na, wenigstens fragt es nicht "wann sind wir da"...
Nach einem kurzen, unaufgeregtem Aufruf beim Aufzugemergencyhelpdesk, welches mir versichert, der Mechaniker käme so schnell wie möglich (freitagsnachmittags, Berufsverkehr, durch die gesamte Innenstadt, so schnell wie möglich - muharharhar!!) fragt das Kind: "Mama, was kann im schlimmsten Fall passieren?".
Ich antworte "Nichts" und versuche, die sich mir aufdrängenden Horrorszenarien von zermatschten Mutter-Kind-Körpern auf dem Aufzugboden wegzuwischen. Was nicht wirklich gelingt.
Wie tief fällt man vom anderthalbten Stockwerk aus?
Das Kind setzt sich hin. "Keine Angst, Du kommst schon zu Deinem Konzert!" sage ich. "Klar, Du fährst mich ja sonst, wenn die andern schon weg sind"
WAS? Der blöde Mechaniker soll seinen Arsch hierherschwingen! Ich habe keinen Bock auch nur in die Nähe kreischender Billy-Junkies zu gelangen!
Das Kind spielt völlig unaufgeregt Sudoku auf meinem Handy.
Das kann nicht meines sein.
Mein Kind würde jetzt toben und schreien und mich übelst beschimpfen.
Das fremde Kind da aber spielt nur Handy und fragt: "Willze auch ma?"
Türenknallen. Es macht Ticktick. Die alte Dame aus dem ersten Stock drückt auf den Aufzugknopf.
Ich rufe: "Mme R.?"
Nichts.
Ich schreie: "Mme R., wir stecken fest, der Aufzug geht nicht!"
Stille.
Erneutes Ticktick.
"Mme R.?"
Stille.
Gefolgt von Tickticktick. Ticktick.
Dann: "So ne verf*** Scheisse, jetzt geht dieses Kackding schon wieder nicht!" Die Dame wird 83. Sie hat mich allem Anschein nicht gehört.
Das Kind blickt auf und grinst "Haste gehört? Die hat F*** gesagt!"
SCHNITT
Herr Larousse holt, meinem Notruf folgend, Kind n°1 von der Schule ab. Aufgeregt, da wissend, daß Frau und Kind n°2 Opfer des Aufzugs sind.
Die Autotür schliesst, Herr Larousse fährt los, auf Kind n° 1 einredend, bis zur nächsten Ampel. Wo er sich zu Kind n°1 umdreht. Und feststellt: Oh, kein Kind anwesend. Bloss die Schultasche. Im Rückspiegel sieht er Kind n°1 winkend angelaufen kommen.
SCHNITT
Der nette Mechaniker hat sich den Weg durch die Stadt tatsächlich schneller gebahnt als angenommen, Kind und Larousse sind befreit und wohlauf, wenn auch etwas müde durch den Sauerstoffverlust. Jemand hat vergessen, Atemgeräte für den Notfall bereitzustellen. In so einem kleinen Aufzug könnte das von Vorteil sein.
Larousse musste nicht fahren.
Das reicht erst mal für's Wochendende.
Kind n°2: "Mama, meinst Du, die Fische übernehmen irgendwann die Herrschaft über die Erde?" Larousse: "Wieso?" Kind n°2: "Die sind doch viel mehr, es gibt schliesslich viel mehr Wasser auf der Erde als Land!"
Da setzt man sich gehetzt und nichtsahnend an den Mac, um ein Bild von einem LKW zu finden, weil man ein Posting über einen Stau in der Innenstadt machen will, und stößt auf das hier:
Kind n°1 kann auch ohne Glucken mütterliche Anwesenheit den ersten Platz im Fussballtournier machen.
Das beunruhigt mich.
Nicht das ohne mich sondern der erste Platz.
Sie verstehen, was ich meine...
Ein strahlender Feiertagsmorgen wird noch strahlender, wenn Herr Larousse zum Mountainbiking ist niemand nölt "kannste jetz endlich mal aufstehn?"
Es ist wunderbar, Freunde zu haben, die einen zum Arbeiten einladen und nicht sauer sind, wenn man erst zum BBQ erscheint (ok, es tut mir leid, aber es ging WIRKLICH nicht anders.
Siehe Punkt 2.)
Drei Erkenntnisse für einen einzigen Tag sind völlig ausreichend.
Ach so ja: Und meine Montagsserie hat aufgehört.
Wurde ja auch Zeit.
EDIT 21:51 Hallo Twoday? Es geht mir so langsam gehörig auf den Sack die Nerven, daß ich comments in der Sidebar sehe aber weder kann ich sie unter meinem Posting entdecken noch kann ich darauf antworten!
Ich liebe ja neues technologisches Spielzeug. Stundenlang kann man daran rumknöstern und es piept und blinkt und dingelingt, es vibriert und leuchtet und wenn man Glück hat bewegt es sich sogar.
Im besten anzunehmenden Fall.
Im schlechtesten Fall ist es so wie gerade jetzt.
Es geht gar nichts.
"Schieben Sie die Sim-Karte in den dafür vorgesehenen Sim-Kartenleser und wählen Sie "Kopieren""
Ich schiebe die Sim-Karte in den dafür vorgesehenen Sim-Kartenleser und wähle "Kopieren".
"Bitte Sim-Karte einschieben"
Hab ich doch grade!!
OK, Sim-Karte wieder raus, pusten, wieder rein, auf kopieren gehen und - "Bitte Sim-Karte einschieben".
Hm.
Hektisches Geblättere in einer dieser verhassten Bedienungsanleitungen. Wer braucht schon Bedienunsganleitungen? Also, wenn es funktioniert mein ich. Und es hat ja wohl gefälligst zu funktionieren, wofür sonst wird jahrelang geforscht und wichtig getan und getönt - und wenn Larousse dann so ein angepriesenes Teil käuflich erwirbt, soll es bitte fluppen, und zwar beim ersten Mal.
Karte raus, Karte rein - "Bitte Sim-Karte einschieben".
AAAAHHH!!
Ah, da steht was: "Sollte es Ihrem Apparat nicht möglich sein, die Sim-Karte zu lesen, zeigt er "Bitte Sim-Karte einschieben" an." Ja, das seh ich auch. Aber was dann?
Krösel.
Nein, tatsächlich, es gibt im ganzen 83254 Seiten starken Heft keinen Lösungsvorschlag für dieses Problem! Das kann doch nicht sein! Keine Frage, der kommt Morgen zurück ins Heim!
Ich HASSE Technik die nicht funktioniert!! Die Menschheit fliegt zum Mond und ist nicht in der Lage, einen schnöden Sim-Karenleser in eine Telefon einzubauen?
In was für einer Welt leben wir eigentlich?!
Der gestrige Abend hat die Tiefen meiner armen gebeutelten Seele ziemlich aufgewühlt. Zutage kam viel allgemeiner Müll. Und ein vergessene Einnerung.
Larousse war zarte 17, als man im elterlichen Betrieb am Samstagmorgen nach ihr rief. An der Fleischtheke war ein Kunde zu Boden gegangen gesunken. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass das Zusammenbrechen des Kunden in keinem kausalen Zusammenhang mit der Qualität des Fleisches in der Theke stand. Jedenfalls kann das bis heute niemand nachweisen.
Der betreffende Man lag also auf dem Boden und schnarchte. So schien es mir jedenfalls. Ich kniete mich hin und nahm den Kopf des Armen auf meinen Schoss. Es war schliesslich unwürdig, ihn so auf den harten Fliesen liegen zu lassen. Der eintreffende Norarzt schnitt dem armen Alten für Herzmassage und Intubation Jacke, Hemd und Unterwäsche vom Leib, halbnackt war der Mann der physischen Gewalt der Ärzte ausgesetzt. Eine entsetzlich erniedrigende Situation. Fand ich. Wobei ich mit dieser Ansicht ziemlich alleine dastand: vor dem Schaufenster waren Menschenmassen aufgelaufen, wie man sie erst zur WM 2006 in dieser Form wiedergesehen hat. Endlich passierte mal etwas, und dann auch noch am Samstagmorgen, wie praktisch, da hat man ja Zeit und kann sich genüsslich einen guten Platz sichern! Ich muss zugeben, Schaufenster war Logenplatz, besser hatte man dem Tod wohl selten ins Gesicht geschaudert.
Larousse hatte mit dem Sensemann bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Kontak. Also, sieht man einmal von den in der Produktionsstätte hängenden Schweinehälften ab, die auf Ihre Weiterverarbeitung für den Wursthimmel warteten - aber die waren ja schliesslich schon ausgeblutet und abgehangen und insofern mit der aktuellen Situation nicht wirklich vergleichbar. Und in meiner Welt schnarchten Tote einfach nicht. Was mein Entsetzen noch steigerte, als der Notarzt nach gefühlten Ewigkeiten seine Gerätschaften einpackte und sagte, da sei nichts mehr zu machen.
Der Mann lag noch lange im Hausflur, da Notärzte keine Toten transportieren dürfen.
Aber das wollt Ihr eigentlich alles gar nicht wissen.
Oder?
20:32
Wir schlagen in A. auf, einem kleinen Nest neben Herrn Larousses Brutstätte. Geladen wurden wir, zum 40gsten zweier Freunde von Herrn Larousse, Phil und Gabriel, genannnt Gaby, was bei mir anfänglich für einige Verwirrung sorgte, erwartete ich doch statt eines brünetten Hünen eher ein blondes Mäuschen.
Der Kleiderordnung der Einladung folgend, trägt Larousse äusserst kleidsames Rot am ganzen Körper - die Farbe, die den 67er Jahrgang an diesem Abend auszeichnet. Herr Larousse gehört zur Gruppe der Orangenen. Entsetzt stelle ich fest, daß auch Magenta anwesend ist, was ich zu Hause noch mit einem müden Lächeln abgetan hatte "Guck mal, unter dreissig soll pink tragen - ich will auch in pink, das streckt hahaha, Teenies kommen da doch eh nicht hin!"
20:40
Schlange stehen am Eingang. "Wer sind denn die Veteranen da?" Ein antikes Empfangskommitee erwartet uns, die Eltern der Jubilare, anscheinend war für über 70 keine Farbe mehr frei, da die zwei Seniorenpärchen uns in schmuckem Schwarzweiss empfangen. Es stellt sich heraus, dass Gaby's Vater der Englisch- und Niederländischlehrer von Herrn Larousse war. Was bei Letzterem nicht nur positive Erinnerungen wacht ruft. Bei Ersterem wohl noch weniger.
20:41
Händegeschüttel
21:45
Der Saal füllt sich zusehends. Wieviel Leute erwartet werden? "So um die 300" antwortet Phil. Oha!
22:15
Ich sterbe vor Hunger. Man sollte niemals vergessen, daß Bier in Belgien zu den Grundnahrungsmitteln zählt und demnach an solchen Abenden nicht zwingend auch feste Nahrung geboten wird.
22:30
Showtime.
Nach alter belgischer Sitte werden Trinkspiele veranstaltet, von denen wir in Deutschland nur kotzen träumen können. "Ganz wie in Studentenzeiten" jubiliert es um mich, und ich versuche, mich unauffällig an meinem Roséglas festzuhalten.
22:45
Einmarsch der Brötchen und Freudentränen im larouss'schen Auge. Man schwankt zur Brötchentheke und kämpft sich bis zum letzten Krümel durch.
22:53
Showtime, die Zweite.
6 Männer stehen wie die Orgelpfeifen nebeneinander und spielen Staffeltrinken. Ist der erste fertig mit Auf-Ex, setzt der nächste an.
22:54
Plötzliche Aufruhr direkt am Hallentor rechts von mir. Was soll jetzt das? So lasst die jungen Leute doch ihren Spass haben! Ich sehe einen Haufen Menschen um ein paar sehr dünne, am Boden liegende Beine wuseln. Seltsam, diese Belgier. Die Beine wippen auf und ab, als würde der dazugehörige Körper jemanden begatten. Sehr seltsam. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ganz und gar nicht in Ordnung. Die Musik geht aus.
22:59
"Christian versucht ihn wiederzubeleben" wird mir zugemurmelt. Immer mehr Menschen scharen sich um den am Boden Liegenden. Christian ist Allgemeinmediziner und als erster geistesgegenwärtig genug, zu reagieren, als der alte Mann auf dem Boden aufprallt. Links von mir fällt jemand in Ohmacht und stöhnt. Sofort schart sich auch um ihn eine Traube Menschen, Wie ich später erfahre war es ein unterzuckerter Diabetiker, der aber schnell wieder zu Kräften kommt. 18 Minuten versuchen 5 Personen Herzmassage und Wiederbeatmung, während die anderen 295 in Totenstille auf den Notarzt warten. Kollektives Aufatmen, als dieser endlich eintrifft.
23:19
Weitere 30 Minuten Herzmassage und künstliche Beatmung. Dann fängt die Frau von Gabys Vater an, laut zu weinen. Die Sanitäter packen ein.
Alles.
Auch den Mann, der am Boden liegt.
23:59
Phil kommt allein von draussen zurück.
"Gaby lässt Euch mitteilen, daß das Leben sehr kurz sein kann. Geniesst es. Und fahrt vorsichtig."
Hallo, falls mich da oben einer hört - das war ja wohl mal so RICHTIG Scheisse!!!!